Das Landgericht Frankfurt hat geurteilt, dass ein Reisender bei einer massiven Flugverspätung im Rahmen einer Pauschalreise entweder eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung von der Airline verlangen oder gegenüber seinem Reiseveranstalter eine Reisepreisminderung geltend machen kann. Beides zusammen ist nach Auffassung der Richter nicht möglich.
In dem verhandelten Fall hatte der Kläger eine Pauschalreise gebucht, bei der sich der Hinflug um 24 Stunden verspätete. Er verklagte die Fluggesellschaft auf Zahlung einer Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung und bekam diese vom Gericht zugesprochen.
Zudem erklärte der Kläger gegenüber seinem Reiseveranstalter eine Reisepreisminderung wegen der Flugverspätung und verklagte diesen auf teilweise Rückzahlung des gezahlten Reisepreises. Diese Klage verlor der Reisende, da die Richter der Auffassung sind, dass er bereits von der Fluggesellschaft einen Ausgleich erhalten habe und ihm daher kein weitergehender Schadensersatzanspruch gegenüber seinem Reiseveranstalter zustehe.
Reisende einer Pauschalreise, welche von einer massiven Flugverspätung betroffen sind, haben nach diesem Urteil also grundsätzlich das Recht, entweder von der Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung zu verlangen oder gegenüber dem Reiseveranstalter eine Reisepreisminderung zu erklären. Beides zusammen ist nach Auffassung der Richter nicht zulässig.
LG Frankfurt/Main, Urteil vom 29.11.2012, Az. 2/24 S 67/12
Die Berufung der Kläger gegen das am 1.3.2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Homburg v.d. h. – Az. 2 C 813/11 (12) – wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
I.
Die Kläger buchten bei der Beklagten eine Reise in der Zeit vom 7.4.2010 bis 29.4.2010 in die Ferienresidenz … in Z. in dem Nord-Male-Atoll auf den Malediven. Der Reisepreis betrug 4.970,00 €. Wegen des Inhalts der Reisebestätigung wird auf Bl. 6-7 d. A. verwiesen.
Der Hinflug zum Urlaubsort sollte am 7.4.2010 um 19.10 Uhr erfolgen. Tatsächlich flogen die Kläger aber erst um 18.50 Uhr des 8.4.2010. Sie kamen deshalb ca. 24 Stunden später am Urlaubsort an.
Wegen des verzögerten Hinfluges nahmen die Kläger das ausführende Luftfahrtunternehmen wegen der Zahlung einer Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung (EU-VO Nr. 261/2004) in Anspruch. Im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Amtsgericht Rüsselsheim wurde das Luftfahrtunternehmen zur Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von 1.200 € nebst Zinsen verurteilt.
Mit ihrer Klage haben die Kläger die Beklagte als Reiseveranstalter wegen einer Minderung des Reisepreises infolge verzögerter Hinreise in Anspruch genommen und verlangen die Rückzahlung eines anteiligen Reisepreises für einen Urlaubstag (236,67 €) zzgl. vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Das Amtsgericht hat durch Urteil vom 1.3.2012 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die geltend gemachten Minderungsansprüche auf die Ausgleichszahlung des Luftfrachtführers anzurechnen seien.
Gegen das ihnen am 12.3.2012 zugestellte Urteil haben die Kläger mit bei Gericht am 28.3.2012 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der auf den 29.5.2012 verlängerten Frist begründet.
Die Kläger sind der Ansicht, dass der infolge der verzögerten Hinreise ihnen zustehende Minderungsanspruch nicht auf die Ausgleichszahlung anzurechnen sei.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Amtsgerichts Bad Homburg v.d. h. (Az. 2 C 813/11 (12)) aufzuheben und
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zur gesamten Hand einen Betrag in Höhe von 236,67 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinnsatz hieraus seit dem 3.8.2010 zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen an die Kläger zur gesamten Hand 57,13 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinnsatz hieraus seit dem 5.8.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf die Anrechnungsvorschrift des Art. 12 Abs. 1 S. 2 EU-VO 261/2004
II.
Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und fristgemäß begründete Berufung des Klägers ist in der Sache nicht begründet.
Zwar leidet das Urteil des Amtsgerichts unter einem schwerwiegenden Verfahrensfehler, weil es keinen Tatbestand enthält, obwohl die Voraussetzungen des § 313 aAbs. 1 ZPO, nach dem auf einen Tatbestand verzichtet werden könnte, nicht vorliegen.
Nachdem das Amtsgericht die Berufung zugelassen hat, ist das Urteil rechtsmittelfähig. Von einem Tatbestand darf deshalb nicht mehr abgesehen werden.
Gleichwohl unterbleibt eine notwendige Aufhebung und Zurückverweisung an das Amtsgericht, weil keine der Parteien dies beantragt hat.
Die Berufung ist unbegründet, weil das Amtsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.
Den Klägern steht ein Anspruch auf Rückzahlung eines Teils des Reisepreises nicht zu.
Zwar können die Kläger grundsätzlich wegen der verzögerten Hinreise eine Minderung des Reisepreises verlangen, da die Beklagte ihre Reiseleistungen insoweit mangelhaft erbracht hat (§ 651 d Abs. 1 BGB).
Da die Kläger allerdings wegen dieses Umstands der verzögerten Hinreise bereits eine Ausgleichszahlung in Höhe von insgesamt 1.200 € nach der Fluggastrechteverordnung (EU-VO 261/2004) erhalten haben, steht ihnen aus diesem Grund kein weitergehender Zahlungsanspruch zu.
Denn gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 EU-VO 261/2004 können die nach der EG-VO gewährte Ausgleichsleistungen auf Schadensersatzansprüche angerechnet werden.
Auch die Kammer ist der Auffassung, dass diese Regelung in der Fluggastrechteverordnung auch für solche Ansprüche gilt, die gegenüber einem anderen Anspruchsgegner geltend gemacht werden und die auf einem Minderungsrecht beruhen.
Da die Fluggastrechteverordnung Ausgleichsansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen begründet, das nicht zwangsläufig der Vertragspartner der Fluggäste sein muss, sich Schadensersatzansprüche aber vorwiegend auf vertraglicher Grundlage ergeben, kann die Anrechnungsregelung in Art. 12 Abs. 1 S. 2 der VO nur dahingehend verstanden werden, dass sie auch für Ansprüche gilt, die sich gegen den Vertragspartner richten, selbst wenn dieser nicht das ausführende Luftfahrtunternehmen ist.
Die Anrechnungsvorschrift ist auch nicht nur auf Schadensersatzansprüche beschränkt, sondern erfasst auch solche Ansprüche, die nach deutschem Recht auf einer Minderung beruhen.
Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 12 Abs. 1 S. 2 EU-VO 261/2004 soll die kumulative Geltendmachung von Ansprüchen, die auf einer Verzögerung der Beförderung beruhen, ausgeschlossen werden können. Zwar hindert die Verordnung nicht, dass weitergehende Ansprüche geltend gemacht werden können (Art. 12 Abs. 1 S. 1 der Verordnung). Allerdings beinhaltet diese Regelung lediglich den Umstand, dass es sich bei den Ansprüchen aus dieser Verordnung nicht um abschließende Rechte handelt. Demgegenüber kommt aus der Anrechnungsregelung in Art. 12 Abs. 1 S. 2 der Verordnung zum Ausdruck, dass nicht Ansprüche aus dieser Verordnung zugleich mit Ansprüchen auf einer anderen Rechtsgrundlage geltend gemacht werden sollen (vgl. Bollweg RRa 09, 10, 11; Führich RRa 07, 58, 59).
Eine solche Anrechnung von Ausgleichsansprüchen und Ansprüchen auf andere Grundlage kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn der Grund der Ansprüche auf dem gleichen Sachverhalt beruht und die Zielrichtung des Anspruches der gleiche ist. Denn durch die Anrechnungsvorschrift des Art. 12 Abs. 1 S. 2 der Verordnung wird verhindert, dass wegen des gleichen Grundes doppelte Ansprüche geltend gemacht werden. Für eine solche doppelte Kompensation sieht die Verordnung keinen Anlass.
Auf der Grundlage dieses erkennbaren Sinn und Zwecks des Art. 12 Abs. 1 S. 2 der Verordnung spielt es keine Rolle, ob der Grund des anderen Anspruches neben dem Anspruch aus der Verordnung auf Schadensersatz oder Minderung beruht. Durch die Verwendung des Wortes „Schadensersatzanspruches“ in der deutschen Übersetzung sollte nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass nur bestimmte Anspruchstypen von der Anrechnung erfasst werden und andere nicht. Die Begriffswahl in anderen Sprachen (z. B. englisch: „compensation“) zeigt, dass die Anrechnung umfassend im Hinblick auf Ausgleichsansprüche eingreifen soll, die auf anderen Rechtsgrundlagen beruhen. In diesem Verständnis werden von der Anrechnung auch Minderungsansprüche nach deutschem Recht erfasst, bei denen es auch um einen Ausgleich für eine mangelhafte Leistung in Bezug auf die Gegenleistung geht (vgl. zum Ganzen Bollwegs RRa 09, 10-17; Leffers RRa 08, 258-261).
Mangels Anspruch dem Grunde nach besteht auch kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos war (§§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Da das Landgericht mithin nicht letztinstanzlich entscheidet, bedarf es auch keiner Vorlage an den EuGH zur Auslegung des Art. 12 Abs. 1 S. 2 EU-VO 261/2004 gemäßArt. 267 AEUV.
Der Ausspruch gemäß § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO erfolgt deklaratorisch, da das Urteil des Amtsgerichts ohnehin für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung erklärt wurde.